In vielen Teilen der Welt wehrt sich die Zivilgesellschaft gegen den Bau neuer Flughäfen. So auch Gabriela Vega Téllez in Mexiko.
Von Mira Kapfinger
Erstaunlich gefasst sitzt Gabriela Vega Téllez für den Videoanruf während der Corona-Ausgangssperre vor ihrem Computer in Texcoco, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Mexiko-Stadt. Nur wenige Tage zuvor wurde ihr Mitstreiter Benito ermordet aufgefunden, nachdem er ein Umweltdelikt in den nahegelegenen Bergen angezeigt hatte. „Wir kennen das Risiko, den Mund aufzumachen”, erklärt Téllez und möchte das Gespräch mit dem Südwind Magazin nutzen, um „zu erzählen, was hier wirklich passiert.”
Seit ihrer Jugend widmet sich Téllez, heute 61, der Erforschung und Erhaltung der Nahuatl-Sprache. Und der Geschichte sowie der traditionellen Kleidung der Gegend um den Texcoco-See. Sie ist hier geboren und aufgewachsen.
2001 begann der Konflikt um einen von der Regierung unter dem damaligen Präsident Vicente Fox geplanten Flughafen. Auf 5.000 Hektar sollte, ohne Rücksprache mit den Teilhabenden der „Ejidos” (Flächen in bäuerlichem Gemeinschaftsbesitz), der größte Flughafen Lateinamerikas entstehen.
Von Enteignungen bedroht, errichteten Bäuerinnen und Bauern unter dem Motto „Land ja, Flugzeuge nein“ Straßenblockaden. Zwar erreichten sie vorübergehend das Aussetzen des Enteignungsdekrets. Doch die darauffolgenden Repressionen gipfelten in einem Einsatz mit 3.500 schwer bewaffneten Polizisten. Bei der Operation wurden zwei Menschen getötet, über 200 Personen wurden teils jahrelang inhaftiert, 27 Frauen wurden in der Haft vergewaltigt.
Koordination des Widerstandes. 2011 begann die mexikanische Bundesregierung – mit Unterstützung der Landes- und Gemeindeebene – den natürlichen Salzboden des Texcoco-Sees entfernen zu lassen, ohne die Bevölkerung zu informieren. Gemeinsam mit anderen versuchte Téllez herauszufinden, was sich hinter den tausenden LKW-Transporten verbarg.
Es stellte sich heraus, dass dies der Beginn für die Bauarbeiten des Flughafens war. Um dem entgegenzutreten, entstand 2012 die Coordinadora CPOOEM, die „Koordination der indigenen Gemeinschaften und NGOs im Osten des Bundesstaates Mexiko zur Verteidigung von Land, Wasser und Kultur”. Téllez war Gründungsmitglied.
Bis heute hat sie eine besondere Rolle. Nicht alle in den indigenen Gemeinschaften haben Strom oder können lesen und schreiben. Téllez ist die einzige, die in ihrer Region Englisch spricht. Damit ist sie Schnittstelle nach außen.
Wenn Razzien durchgeführt werden und das Militär im Gebiet ist, laufen alle Informationen bei ihr zusammen. „Ich werde dann sehr nervös und tippe so schnell ich kann. Wir helfen zusammen – meine Genossinnen und Genossen in den Gemeinschaften und ich vor dem Computer,” beschreibt Téllez ihr Engagement.
Trügerischer Sieg. 2018 ließ der neue Präsident Andrés Manuel López Obrador von seiner Partei ein öffentliches Referendum zum Flughafen in Texcoco durchführen, das Projekt war seiner Ansicht nach zu teuer und von Korruption geprägt. Zur Auswahl standen die Weiterführung des Baus oder eine kostengünstigere Alternative. Bei einer Beteiligung von etwa einem Prozent der Wahlberechtigten stimmten 70 Prozent gegen das Projekt. Es wurde ausgesetzt.
Laut Téllez kein Grund zum Feiern. Die Aktivistin sieht darin auch eine Strategie der Regierung, um den Widerstand zu brechen: Um ein ähnliches Wachstum der Passagierkapazitäten zu erreichen wie beim Neubauprojekt, wird nun der bestehende Flughafen von Mexiko-City erweitert sowie der wenige Kilometer vom Texcoco-See entfernte Militärstützpunkt Santa Lucia zu einem zivilen Flughafen vergrößert.
Die Folgen sind ebenso schädlich. Am Texcoco-See selbst steht bereits rund ein Drittel des einstigen Flughafen-Großprojekts. Ein Gesetz verbietet den Rückbau, die Regierung plant nun einen Öko-Park.
Die Bauern und Bäuerinnen verlieren ihr Land trotzdem, so Telléz. „Wir kämpfen weiter, aber es ist sehr schwer”, erzählt sie. Ermordungen, wie die ihres Kameraden Benito, dienten der Einschüchterung. Und sie rechnet damit, dass weitere Herausforderungen folgen: „Wir sind nicht mehr die Jüngsten. Deshalb versuchen wir unser Wissen weiterzugeben, damit die jüngere Generation bald übernehmen kann.”
Mira Kapfinger ist Kampaignerin und Mitbegründerin des Netzwerks Stay Grounded zur Reduktion von Flugverkehr und für ein gerechtes Transportsystem. In Wien ist sie in der Klimagerechtigkeitsgruppe „System Change, not Climate Change!“ aktiv.
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